Einmal im Jahr veranstaltet Londons Bürgermeister eine Konferenz für seine Bürger. Es gibt eine Eingangsdiskussion mit ihm und dann verschiedene andere Panels, die parallel laufen. Ich sitze derzeit in einer Veranstaltung zu öffentlichen Verkehrsmitteln und ich bin nicht die einzige Rollstuhlfahrerin, die hier sitzt. Schon die Anreise zu der Veranstaltung war typisch für London: Das Taxiunternehmen konnte kein Taxi finden, das mich per Taxicard hier her bringt. Es war keines verfügbar. Also entschied ich mich dafür, Bus und U-Bahn zu nutzen. Es kam 45 Minuten lang aber kein Bus. Um 10 Uhr (da fing die Veranstaltung an), war ich endlich in der U-Bahn. Ich musste Baker Street umsteigen, was ich alleine gar nicht geschafft hätte, weil die Differenz zwischen Zug und Bahnsteig zu hoch ist. Glücklicherweise liegt das Konferenzzentrum in der Nähe von Westminster, einer barrierefreien U-Bahnstation.
Derzeit spricht Peter Hendy, Commissioner of Transport. Jährlich transportiert die Londoner U-Bahn mehr als eine Milliarde Menschen, sagt er. Was er erzählt erinnert mich stark an die mir mehr vertraute Hamburger Politik: Wenige gute Dinge hervorheben, alle Probleme ausblenden. Er zeigt eine Karte der U-Bahn 2012, wenn die Olympischen Spiele stattfinden. Man könnte meinen, London wird eine Stadt in der Milch und Honig fließen bis dahin. Ich hoffe, ich erlebe das noch.
Die Fragerunde startet. Schon die zweite Frage geht um Barrierefreiheit. Das ist ein riesen Unterschied zu Deutschland. Auch die Anzahl der behinderten Londoner im Publikum ist enorm. Peter Hendy antwortet, die U-Bahn sei ein altes System. Es sei schwierig, blabla… Es sei aber eine wichtige Aufgabe für Ken Livingstone, den Bürgermeister. Er ermahnt die behinderten Nutzer „be tolerant“. Er spricht von Victoria Station, die umgebaut wird. Jetzt hat er wieder das Thema gewechselt, spricht von geschlossenen Bahnstrecken.
Eine Rollstuhlfahrerin fragt, wann er gedenkt, das Verhalten der Mitarbeiter in Ilford abzustellen. Sie verbieten ihr seit mehr als zwei Jahren mit einem E-Rollstuhl die Lifts der Station zu nutzen. Er meint, das Management der Station sei nicht seine Sache. Das sei outgesourct an eine Firma. Eine Antwort, die ich echt nicht mehr hören kann. Er habe vorher zudem noch nie eine Beschwerde über diese Station gehört.
Jetzt geht es um die Busse. Eine Frau mahnt an, dass die Busfahrer nie ordentlich an die Haltestelle ranfahren. Es gibt Zustimmung aus dem Publikum.
Peter Hendy wischt das Problem mit dem Abstand zwischen Bürgersteig und Bus weg. Nicht jeder Fahrer könne perfekt fahren (warum eigentlich nicht?). Oft seien die Haltestellen zugeparkt. Die Unternehmen hätten ein eigenes Interesse, dass die Fahrer ordentlich fahren, weil das Unfälle verhindere, für die sie zu zahlen hätten. Irgendwie ist das eine ziemlich sinnlose Diskussion. Jemand erwähnt ein Problem und Hendy wischt es weg.
Und noch eine Frage zu Barrierefreiheit. Ein Rollstuhlfahrer bemängelt die ständig defekten Rampen. Hendy fragt: Welche Linie? Was für eine Frage! Das Problem besteht in ganz London. Eine Frau fragt, wie man das Problem lösen kann, dass Leute mit Kinderwagen nicht bereit sind, die Plätze für Rollstuhlfahrer freizugeben. So viele Fragen zur Barrierefreiheit auf einer ganz normalen Bürgerveranstaltung. Das habe ich in Deutschland noch nie erlebt. Sehr interessant.
Peter Hendy ermahnt die Rollstuhlfahrer mehr Bus zu fahren, damit die Busfahrer sich daran gewöhnen. Jetzt geht es um die Kinderwagen. Man müsse damit leben. Die Moderatorin fragt, ob es Congestion Charge für Buggys geben wird. Großes Gelächter.
Am Nachmittag habe ich mir zwei interessante Diskussionen zu Ausländern in London angehört. Es ging um die Frage, ob Ausländer, die lange in UK leben, wählen sollten. Also, ob man nicht nur EU-Bürger bei den Kommunalwahlen an die Urnen lässt, sondern alle. Mir hat die Art der Veranstaltung sehr gut gefallen, auch wenn es eine absolute Labour-Veranstaltung war. Man hat nicht mal zum Schein Politiker der Opposition eingeladen. Für mich interessant war, dass so viele Fragen zur Barrierefreiheit gestellt wurden und ich mal nicht die einzige sichtbar behinderte Zuhörerin bei so einer Veranstaltung war. Ich musste mich nicht mal selbst mal selbst zu Wort melden, alle Anmerkungen, die ich hatte, wurden von anderen im Publikum ebenfalls gemacht.