Blinde können alles

Christiane Link

Ja, auch Farben ertasten. Das hat die Wettkandidatin am Samstag zur besten Sendezeit bei Wetten, dass…? hervorragend bewiesen. :-) Aber die böse Presse will das einfach nicht glauben. Nur die gute alte Titanic, die Spezialistin im Farben erkennen mit verbundenen Augen, weiß die Leistung der blinden Frau zu schätzen. Oder hat sie sie sogar selbst in die Sendung geschickt?

Aber mal im Ernst: Ich bin selten mit der Bild-Zeitung einer Meinung, aber auch ich glaube, dass die Frau Gottschalk an der Nase herum geführt hat. Ich wusste noch gar nicht, um was es bei der Wette geht, ich hatte gerade erst reingezappt, das stutzte ich schon, weil die Dame einen „Blindenausweis“ vorzeigte, der angeblich bestätigte, dass sie gar nix sieht. Bei dem Ausweis handelte es sich um einen Schwerbehindertenausweis. Amtliche Blindenausweise gibt es nicht. Und es kann auch gut sein, dass der Frau dort ein Grad der Behinderung von 100 bescheinigt wird. Das heißt aber nicht, dass sie keine Farben mehr sehen kann – sicherlich nicht mit dem Glasauge ;-) – aber vielleicht mit dem anderen.

In den USA sagt man „legally blind“ und das ist eine sehr gute Beschreibung. Es gibt Menschen, die können noch bestimmte Dinge (Hell, Dunkel, Farben) sehen, sind aber dennoch gesetzlich blind, weil ihnen dieser Sehrest im Alltag relativ wenig nutzt. Das heißt, sie haben das Merkzeichen „BL“ in ihrem Ausweis. Die Zahl 100 heißt auch nicht, dass jemand gar nix mehr sieht. Kurzum, ich fand das Anfangstheater schon komisch. Und als ich dann sah, was die Frau da machte (nämlich Farben von Hemden ertasten – für alle die es nicht gesehen haben), mit der Nasenspitze zur Hallendecke, dachte ich nur: „Ich möchte nicht in der Haut des betreffenden Redakteurs stecken, der die Wette ausgesucht hat.“ Könnte es nicht sein, dass sie unter der Augenbinde durchgelinst hat? So wie damals der Titanic-Redakteur?

Wenn also eine Redaktion nicht weiß, dass es keinen Blindenausweis gibt, dass ein Grad der Behinderung von 100 nicht immer heißen muss, dass jemand keine Farben erkennt, dann komme ich schon ins Grübeln. Und weiter grübele ich, wenn sich die Kandidatin verteidigt: „Für mich bedeutet diese Fähigkeit mehr Unabhängigkeit. Meine Mutter muss nicht mehr sagen, was ich anziehen kann.“ Ach ja? Weiß sie nicht, dass es Farbtestgeräte gibt, die sogar von der Krankenkasse bezahlt werden? Die sind so groß wie eine Taschenlampe, mal hält sie gegen das Hemd und sie quaken: „Dunkelblau“ oder auch „Hellgrün“. Da muss man nicht 20 Jahre lang trainieren, wie sie meint.

Also irgendwie ist das alles nicht ganz stimmig. Ich kenne keinen einzigen blinden Menschen, der Farben ertasten kann anhand des Gewebes. Ich bin gespannt, ob sie in die Geschichte von Wetten, dass…? eingeht – als zweiter Farbenerkennungs-Betrugsfall.



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