Seit Monaten kämpfen die Blindenverbände gegen die Kürzung oder gar Abschaffung des Blindengeldes. In Niedersachsen soll das Blindengeld so gut wie ganz abgeschafft werden, nur blinde Menschen bis 27 erhalten noch 300 Euro monatlich. Auch in Hamburg wurde eine massive Kürzung des Blindengeldes beschlossen.
Dabei ist das Blindengeld ein Nachteilsausgleich. Leider haben die Verbände nicht geschafft, das auch der Öffentlichkeit zu vermitteln. Stattdessen setzte man auf Stereotype, Vorurteile und Mitleid. Zudem argumentierten einige auf Kosten anderer Menschen mit Behinderungen. Kurzum: Die Blindenverbände haben sich in der Diskussion um das Blindengeld nicht mit Ruhm bekleckert und sollten dringend ihr Selbstbild überdenken.
Um es vorweg zu sagen: Ich bin gegen die Kürzungen des Blindengeldes. Im Gegenteil, jeder behinderte Mensch sollte einen angemessenen Nachteilsausgleich erhalten. Das trifft keineswegs nur auf blinde Menschen zu. Wer weiß, was ein Gebärdensprachdolmetscher kostet, kann sich vorstellen, mit welchen Kosten gehörlose Menschen im Alltag konfrontiert sind. Und auch die Pflegeversicherung deckt längst nicht alle Kosten, die körperbehinderte Menschen haben.
Doch die Blindenverbände haben teilweise abenteuerliche Argumente vorgetragen, um das Blindengeld zu erhalten: Der Blindenverband Niedersachsen hat auf seiner Internetseite Beispiele aufgelistet, weswegen das Blindengeld für blinde Menschen wichtig ist. Dabei bedient sich der Verband sämtlicher Vorurteile, die es über blinde Menschen gibt: «Es gibt keine Alternative zum Blindengeld, denn für blinde Menschen ist es nicht möglich, studentische Jobs anzunehmen», ist da zum Beispiel über einen blinden Studenten zu lesen.
Mir sind an der Universität einige blinde studentische Hilfskräfte begegnet. Das hat zudem mit der Diskussion um das Blindengeld nichts zu tun. Es geht um den Nachteilsausgleich, nicht um Lohnausfall.
Blinde Menschen brauchen das Blindengeld, um beispielsweise die Einkaufshilfe zu bezahlen, Bücher in eine für sie wahrnehmbare Form umsetzen zu lassen oder auch mal ein Taxi zu bezahlen. Warum können das die Verbände nicht ohne Mitleidshascherei vermitteln? Stattdessen muss ich auf der gleichen Seite lesen: «Leben ohne sehen zu können ist schon an sich ein schweres Schicksal.» Ich kenne viele blinde Menschen, die das nicht bestätigen können. Da kämpft die Behindertenbewegung seit Jahren darum, dass sich ein soziales Modell von Behinderung durchsetzt. Kaum geht es ums Geld, vergessen einige Verbände, die jahrelange Politik und setzen auf Mitleid.
Politiker wurden aufgefordert, nur wenige Stunden «ohne Augenlicht zu leben». «Versuchen Sie zum Beispiel morgens sich anzuziehen, bereiten Sie ihr Frühstück zu, essen Sie es, gehen Sie einkaufen und anschließend zur Arbeit. Als Resultat dieses Selbstversuches werden Sie eine unpassende Kleidungskombination tragen. An ihrer Kleidung werden Spuren des Frühstücks zu sehen sein. Zum Mittagessen werden Sie sich schlimmsten Falles die Dose Hundefutter statt der geplanten Dose Eintopf öffnen. Die Arbeit am heutigen Tag werden Sie mit großer Verspätung erreichen, weil Sie die verlegte Bushaltestelle nicht finden konnten», schreibt der Blindenverband Niedersachsen in einer Pressemitteilung.
Merkt dieser Verband gar nicht, dass er die eigenen Mitglieder diskriminiert? Kein Blinder isst Dosenfutter. Und es soll ja blinde Menschen geben, die durchaus zivilisiert essen können und sich auch gut kleiden.
Unter den blinden Menschen war auch die «Woche für Blinde» hoch umstritten. Da sammelte der Blindenverband Niedersachsen unter der Schirmherrschaft der Sozialministerin, die maßgeblich für die Kürzung des Blindengeld verantwortlich ist, Geld an den Haustüren der Niedersachsen: «Deshalb unsere große Bitte an Sie und alle unsere Sammler, lassen Sie blinde Menschen gerade jetzt nicht allein und im Stich. Sammeln Sie so engagiert und solidarisch für blinde Menschen wie bisher. Wir danken Ihnen von Herzen!», hieß es bei dem Spendenaufruf.
Dass eine Haus- und Straßensammlung genau das Bild blinder Menschen bestätigt, das in vielen Köpfen vorherrscht, scheint die Verantwortlichen nicht zu stören. Allein der Titel der Aktion manifestiert einen Fürsorgegedanken, der nichts mit gleichberechtigter Teilhabe zu tun hat.
Der Blindenverband Hamburg hat mit seiner Argumentation allerdings dem ganzen die Krone aufgesetzt: Die Zahl der Blindengeldempfänger nehme zukünftig ab, wird da argumentiert. Deshalb brauche man das Blindengeld nur moderat kürzen. «Langjährige Blindengeldbezieher haben nur noch eine begrenzte Lebenszeit», freut sich der Verband. Denn viele seien über 80 Jahre alt. Zudem würden die Therapieverfahren immer besser. Zusammengefasst: Der Blinde ist eine aussterbende Spezies. Dann könne man doch den letzten verbleibenden Dinosauriern noch ein schönes Leben bereiten und ihnen das Blindengeld lassen.
Reicht es nicht, dass die Medien fast wöchentlich voll sind mit irgendwelchen Jubelmeldungen, dass Blindheit bald heilbar ist und Lahme bald wieder gehen? Müssen diese Heilsversprechen forschungsgeldabhängiger Professoren jetzt auch noch von den Behindertenverbänden vorgetragen werden? Und was ist, wenn die Blinden doch nicht so schnell wieder sehen können?
Eines der Argumente der Politiker gegen das Blindengeld war, dass andere behinderte Menschen keine Leistungen wie das Blindengeld erhalten. Doch anstatt diese Gelegenheit zu nutzen, um auch einen Nachteilsausgleich für andere Menschen mit Behinderungen zu fordern und dieses Argument gleichzeitig auszuhebeln, setzte man auf der Internetseite der Kampagne «Blindengeld muss bleiben» die Leistungen der Pflegeversicherung mit denen des Blindengelds gleich und verbreitet auch noch Dinge, die schlicht nicht stimmen: «Beispielsweise erhalten Körperbehinderte wie Rollstuhlfahrer Leistungen aus der Pflegeversicherung – einkommens- und vermögensunabhängig.»
Einige behinderte Menschen erhalten Leistungen aus der Pflegeversicherung – längst nicht alle und mit dem Status «Rollstuhlfahrer» hat das nichts zu tun. Ich bin auch Rollstuhlfahrerin und bekomme keine Leistungen. Die Pflegeversicherung deckt, gerade bei jungen Menschen, bei weitem nicht alle Kosten. Wer zu viel Assistenz braucht, muss draufzahlen. Das führt dazu, dass Familien mit gutem Einkommen bis auf Sozialhilfeniveau für die Pflege der Angehörigen aufkommen müssen. Es ist infam, diese Tatsache zu verschweigen!
«Die Kosten für geistig behinderte Menschen in Heimen werden unabhängig vom Vermögen des geistig Behinderten und seiner Angehörigen voll getragen», heißt es weiter. Warum kenne ich nur so viele Familien mit Angehörigen mit Lernschwierigkeiten, die ihre Angehörigen sehr wohl finanziell unterstützen müssen? Warum glauben die Blindenverbände, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten per se im Heim leben. Es werden also nicht nur Vorurteile gegenüber blinden Menschen, sondern auch noch anderer Behindertengruppen manifestiert.
Mit diesen und anderen Argumenten haben die Blindenverbände nicht nur die Politiker nicht überzeugt. Sie haben sich auch noch selbst geschadet. Der Erfolg der amerikanischen Behindertenbewegung ist nicht zuletzt auf die behinderungsübergreifende Solidarität zurückzuführen und das konsequente Predigen des sozialen Modells von Behinderung. Mitleid, Stereotype und Vorurteile sind tabu. Wenn die Blindenverbände bei kommenden Diskussionen um Leistungen, Barrierefreiheit und anderen Dingen erfolgreicher sein wollen, sollten sie auf gleicher Augenhöhe mit den Politikern diskutieren, anstatt sich in eine Opferrolle zu begeben.