Danke, Train of Hope!

Ich komme gerade von einer Podiumsdiskussion zum Thema behinderte Flüchtlinge in Europa. Dieser Abend ist eine gute Gelegenheit mal Revue passieren zu lassen, was mir in den vergangenen Wochen so passiert ist und was ich gelernt habe. Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, die Erfahrungen mit den Flüchtlingen und dem „Train of Hope“ in Wien werden mich nachhaltig prägen und auch Einfluss darauf haben, wie ich mich künftig engagiere und mit wem und vor allem unter welchen Bedingungen.

Train of Hope Plakat

Vorweg muss ich sagen, ich bin meinen Mithelferinnen und -helfern – viele von ihnen waren selber Flüchtlinge – sehr dankbar für die tollen Erfahrungen und die gegenseitige Unterstützung. Das was am „Train of Hope“ im Team erreicht wurde, war für mich unvorstellbar und es macht mich so stolz, wenn ich auf die letzten Wochen zurückblicke.

Es gibt ein paar Punkte, die ich festhalten möchte, auch weil ich glaube, dass sie anderen engagierten Menschen helfen könnten und auch den NGOs, die mit Freiwilligen arbeiten, auch wenn vieles natürlich subjektiv ist und meine Erfahrungen sich speziell auf den „Train of Hope“ beziehen.

Nicht reden, machen

Ich habe beim „Train of Hope“ erst im Lager, der Spendenannahme und in den vergangenen Wochen am Infotisch gearbeitet. Der Infotisch infomierte Flüchtlinge über Reiserouten, Preise und wir versuchten auch sonst jede Frage zu beantworten, die wir gestellt bekamen. Damit hatte ich wochenlang ständig direkten Kontakt mit geflüchteten Menschen.

Das Erfolgsrezept des „Train of Hope“ kann man definitiv mit „Nicht reden, machen“ zusammenfassen. Diese Devise wirkte auf mich wie ein Magnet. Wer einmal dort mitgearbeitet hat, wirklich praktische Hilfe leisten konnte, kam immer wieder. Die Möglichkeit dort zu helfen, hätte nicht niederschwelliger sein können: Man geht einfach hin, wenn man Zeit hat und bleibt so lange man kann. Später als wir mehr in Teams zusammenarbeiteten, begannen die Teams Dienstpläne zu erstellen, aber auch diese waren sehr flexibel.

Ich hatte von Anfang an keine Angst, Entscheidungen zu treffen. Ich habe viel aus dem Bauch heraus entschieden, gerade weil alles neu war und das fand ich toll. Hierarchien gab es am Anfang so gut wie nicht. Es war teilweise Chaos pur, aber es funktionierte trotzdem. Es funktionierte, weil jeder Verantwortung übernahm. Nicht reden, machen. Eine falsche Entscheidung ist besser als keine.

Eure Bürokratie nervt

Aus dieser Erfahrung heraus kann ich sagen, ich habe eine ziemliche Allergie gegen Bürokratie entwickelt. Gegen österreichische insbesondere. Kein Formular hat jemals einem Flüchtling den Hunger gestillt. Wenn man fragt, was derzeit konkret getan wird, um beispielsweise behinderte Flüchtlinge zu versorgen, dann hört man, man erfasse derzeit den Bedarf. Seit Monaten. Man zählt also. So lange man zählt, muss man sich nicht mit konkreten Problemlösungen befassen. Nicht zählen, machen. Und ich habe zunehmend den Eindruck, die Bürokratie ist derzeit die größte Barriere bei der Hilfe für Flüchtlinge. Ob beabsichtigt oder nicht, es nervt tierisch. Und jede NGO, die erstmal mit Formularen um sich wirft, bevor man helfen kann, werde ich nicht unterstützen.

Behinderte Flüchtlinge sind kein Randthema

Wann immer ich über behinderte Flüchtlinge spreche und von denen erzähle, denen ich am „Train of Hope“ begegnet bin, kommt die Antwort „Gibt es denn welche?“ oder „Das können wir derzeit nicht leisten, die auch noch zu versorgen“. Dabei haben Deutschland und Österreich die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet. Behinderte Flüchtlinge sind besonders schutzbedürftig. Die Staaten stellen sich nur offensichtlich überhaupt nicht darauf ein. Und dann frage ich mich, was passiert eigentlich im Katastrophenfall? Heißt es dann auch, man könne sich jetzt nicht auch noch um behinderte Bürger kümmern? Mein Verdacht ist: Genauso wird es sein. Oder weiß der Katastrophenschutz dann, wo die nächste barrierefreie Unterkunft ist? Und warum wissen sie es dann jetzt nicht? Und gibt es dann plötzlich genug barrierefreie Unterkünfte? Wohl kaum.

Pausen sind wichtig

Die längste Schicht am Hauptbahnhof, die ich gemacht habe, war 14 Stunden lang. Mit zwei Klo-Pausen. Gegessen wurde als der Burgerladen im Hauptbahnhof Burger für die Helfer vorbeibrachte. Die Pause war 10 Minuten lang. Das kann man ein oder zweimal machen, danach wird man krank. Hab ich für Euch ausprobiert. Nicht nachmachen, jedenfalls nicht, wenn man über 30 ist.

Nachdem ich zum Infotisch gewechselt bin kam zu der körperlichen Belastung die mentale hinzu. Denn die persönlichen Geschichten der Flüchtlinge machen den Krieg plötzlich sehr real. Wenn Menschen ihr Hemd anheben und ihre Schussverletzungen zeigen zum Beispiel. Oder wenn Menschen ihre Angehörigen auf der Flucht verloren haben und hoffen, sie bei uns wiederzufinden. Ich brauchte zwischendurch immer mal wieder eine Verschnaufpause, war nicht mehr jeden Tag am Bahnhof und bin dann wieder aufgeladen dorthin zurück. Ich glaube, das hat mich davor bewahrt, mit den vielen Geschichten nicht mehr umgehen zu können.

Austausch ist noch wichtiger

Oh Facebook, Whatsapp & Co. – ohne Euch wäre es in den letzten Wochen sehr schwer geworden. Nicht nur zur Unterstützung für die Flüchtlinge, sondern auch zum Austausch mit anderen Helfer. Es war einfach immer jemand online, der einem zuhörte, auch wenn gerade im Real Life niemand da war. Dieser Austausch ist immens wichtig. Niemand musste mit den Erlebnissen alleine fertig werden. Unser Infotischteam hat eine eigene Whatsapp-Gruppe und wir reden dort über alles mögliche. Tag und Nacht. Aber natürlich auch über die Dinge, die wir am Hauptbahnhof so erlebten. Und ich kenne die Nachteulen unter meinen Helfer-Freunden (Hallo Gil!) und weiß, wen man auch noch um 2 Uhr nachts ansprechen kann.

Hierarchien sind überbewertet

Irgendwann zog man beim „Train of Hope“ Hierarchien ein. Es gab plötzlich Teamleiter und einen Vorstand. Es gab einige Helfer, die sich das gewünscht hatten. Die Vereinsgründung war aus finanziellen und rechtlichen Gründen notwendig geworden.

Heute denke ich, damit ging der Charme von „Train of Hope“ etwas verloren und ich kann auch nicht sagen, dass diese Hierarchien wirklich zu einem verbesserten Arbeiten geführt hätten. Beim Infotisch waren immer alle gleich und das haben wir gefühlsmäßig auch so beibehalten, auch mit Teamleitern. Dass diese Hierarchien aber zwingend notwendig sind, kann ich nicht bestätigen. Dafür braucht man allerdings Menschen, die eigenverantwortlich handeln und auch handeln wollen und die Teamplayer sind. Wer allerdings kein Teamplayer ist, wird es in der Flüchtlingshilfe sowieso schwer haben.

Eine Handynummer bedeutet Verantwortung

Ich habe ein paar Flüchtlingen meine Handynummer gegeben. Bereut habe ich es bislang kein einziges Mal. Im Gegenteil. Ich finde es sehr erfüllend zu sehen, was aus den Menschen wird, wenn sie erstmal dort angekommen sind, wo sie hinwollten und wenn man sie auf diesem Weg ein bisschen begleiten kann. Aber es kann eben auch Verantwortung bedeuten, wenn sie Unterstützung brauchen, kann man schlecht sagen, das interessiert einen jetzt nicht mehr. Also ich kann das jedenfalls nicht. Ich fühle mich verantwortlich. Und bevor ich jemandem meine Handynummer gebe, überlege ich mir, ob ich bereit bin, dieser Person weiter zu helfen oder eben nicht.

Vielfalt ist toll

Seit ich für die BBC gearbeitet habe, weiß ich, wie toll es ist, in vielfältigen Teams zu arbeiten. Am Infotisch war die jüngste Helferin 18, die Älteste 55. Wir hatten mehrere arabischstämmige Helferinnen und Helfer, die gedolmetscht und auch beraten haben. Wir haben alle einen ganz anderen beruflichen Hintergrund. Trotzdem sind wir unterdessen ein sehr eingeschworenes Team und wirklich gute Freunde geworden.

Danke „Train of Hope“

Als die Olympischen Spiele und die Paralympics 2012 in London zu Ende waren, waren wir alle traurig, weil wir dachten, ein derartiges Gemeinschaftsgefühl nie mehr erleben zu können. Wie oft hat man schon die Gelegenheit mit Hunderten von Menschen gemeinsam solch ein Projekt stemmen zu können? Der „Train of Hope“ hat mich das noch einmal erleben lassen. Dafür bin ich unendlich dankbar.