Deutschland ist ein Fall für die Werbeaufsicht
Deutschland ist für behinderte Menschen voll zugänglich. Glaubt Ihr nicht? Da habt Ihr recht, aber genau das will die Bundesrepublik Deutschland gerade behinderten Briten erzählen, denn die sollen in Deutschland bitte Urlaub machen. Dafür hat Deutschland, finanziert aus den Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums eine Printkampagne aufgelegt, die den erstaunlichen Slogan hat:
Weiter heißt es (sinngemäß) übersetzt „Deutschland bietet eine Fülle von Möglichkeiten für einen erholsamen Urlaub. Besucher mit Behinderungen und eingeschränkter Mobilität, Ältere eingeschlossen, und Menschen mit Sportverletzungen sind alle in der Lage Deutschland voll zu genießen. Deshalb bieten viele Orte, Städte und Regionen in Deutschland spezielle Pakete für Menschen Behinderungen an. Da ist etwas für jeden dabei.“
Leider vergisst die Werbung einige nicht ganz unerhebliche Dinge zu erwähnen. Wie das ja manchmal so ist bei Werbung. Oder die Verantwortlichen haben ihr Büro seit Jahren nicht verlassen und glauben ernsthaft, Deutschland sei barrierefrei.
Ich bin beim Realitätsabgleich gerne behilflich:
– Deutschland ist gar nicht so barrierefrei wie sich viele nicht behinderte Menschen einbilden.
– An Europas größtem Flughafen Frankfurt ist es nur ganz schwer möglich, ein Taxi zu bekommen, das ein Kombi ist. Ein barrierefreies Taxi findet man an keinem Flughafen, das muss man Wochen vorher vorbestellen. In den meisten Städten gibt es gar keines. Wer stufenlos zur S-Bahn möchte, muss das Bahnpersonal des Flughafens Frankfurt am selten besetzten Servicepoint des Lokalbahnhofs bemühen und lernt den Müllraum des Bahnhofs kennen. Vielleicht meinten die Werber das mit „Access All Areas“.
– Der Berliner Funkturm lädt alle Besucher ein, außer Rollstuhlfahrer. Die dürfen nicht hinauf. Aus Sicherheitsgründen.
– Es gibt einen massiven Mangel an barrierefreien Toiletten. Überall. Einfach mal beim nächsten Kneipen- oder Restaurantbesuch darauf achten, ob es eine barrierefreie Toilette gibt. Nicht nur ebenerdig, sondern mit Griffen und so und breit genug für einen Rollstuhl.
– Es gibt auch einen Mangel an barrierefreien Hotelzimmern, die nicht mehr als 100 Euro kosten. Einfach beim nächsten Urlaub oder bei der Dienstreise mal fragen, ob das Hotel barrierefreie Zimmer hat und ob diese Einzel- oder Doppelzimmer sind. Es scheint in Deutschland unter Hoteliers dieses Gerücht zu geben, behinderte Menschen reisen immer alleine. Ja, ich meine auch Euch, Motel One.
Und noch ein Wort an die Werber: Die Werbung ist eigentlich ein Fall für die britische Werbeaufsicht, aber ich frage mich, ob das die Mühe wert ist. Die Zielgruppe fühlt sich nämlich schon durch Euer Wording null angesprochen. „People with disabilities“ heißen in UK „Disabled people“. Eine Behinderung wie Ihr es meint ist ein „impairment“. Und ich vermute stark, dass sich die Senioren nicht sehr freuen, wenn sie als „the elderly“ in der Werbung angesprochen werden. Aber wer glaubt, Deutschland sei barrierefrei, der hat vermutlich eh nicht mit der Zielgruppe gesprochen.