Da lese ich gerade die Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums und mir wird ganz anders:
„Anlässlich des gestern von der Europäischen Kommission vorgelegten fünften Richtlinienentwurf zur Antidiskriminierung erklärt der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos: „Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aus dem Jahr 2006 wurden die bisherigen vier EU-Richtlinien zur Allgemeinen Gleichbehandlung umgesetzt und alle zur Diskussion stehenden Diskriminierungssachverhalte in Deutschland aufgegriffen. Der jetzt vorliegende fünfte Richtlinienentwurf geht weit über den bislang schon bestehenden Diskriminierungsschutz in Europa hinaus. Es steht zu befürchten, dass Bürgerinnen und Bürger sowie insbesondere auch die mittelständischen Unternehmen in Deutschland durch die geplanten Regelungen aus Brüssel in unvertretbarem Umfang eingeengt und belastet werden.“
So weit so gut. Diese Meinung teile ich zwar nicht, aber damit könnte ich leben. Aber dann lese ich weiter unten die Begründung.
„Die von der EU-Kommission geplante Richtlinie würde viele Bereiche des täglichen Umganges und der sozialen Kontakte der Menschen überregulieren und Freiräume unnötig einengen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass jeder Gastwirt an der Ecke zukünftig seine Speisekarten auch in Blindenschrift und eine behindertengerechte Toilette vorhalten müsste.“
Ich hätte jetzt riesen Lust sarkastisch zu sein, aber ich glaube, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister fehlen ein paar Fakten, die ich gerne beitrage: Zum Beispiel was eine Braillekarte so kostet. Im teuren England, erster Treffer bei Google, 10 Pfund pro DIN A4-Seite (500 Wörter). Das kann man keinem Gastwirt an der Ecke zumuten? Mit Verlaub, wenn es der deutschen Gastronomie so schlecht geht, dass sie sich das nicht mehr leisten kann, dann hat Deutschland noch ganz andere Probleme als die Braillekarten. Aber dass mit zwei Abendessen eines blinden Gastes der Preis der Braillekarte schon wieder drin ist, hat man wohl übersehen. Und vielleicht kommt der sogar in Begleitung, dann hat man sogar Gewinn gemacht.
Und zu den Toiletten sage ich nur eines: Meine Lebensqualität in England ist unter anderem deshalb so viel besser als in Deutschland, weil ich wie jeder andere Mensch auch dann zur Toilette gehen kann, wann ich möchte und muss. Ich dachte eigentlich, das sei ein Menschenrecht. Deutschland hat kein Problem den Gastwirten nach Männlein/Weiblein getrennte Toiletten aufzubrummen, selbst in der kleinsten Location, aber sobald es um behinderte Menschen geht, ist das alles ne Zumutung.
Dann zur Toilette gehen zu können, wann man möchte, ist ein Menschenrecht. Es ist mir ein Rätsel, warum das so schwer zu verstehen ist. Dass die Wirtschaft dennoch nicht stirbt trotz vieler Antidiskriminierungsrichtlinien zeigt Großbritannien wunderbar. Hier herrscht eigentlich Kapitalismus pur, aber wenn es um Diskriminierung geht, gibt es auch hier Grenzen und ich habe nicht den Eindruck, dass das Land darunter leidet, dass ich dann auf die Toilette gehen kann, wenn ich es möchte. Selbst das 250 Jahre alte Pub bei uns um die Ecke hat eine barrierefreie Toilette. Es ist mir unbegreiflich, warum sich Deutschland so schwer damit tut, wenigstens dort wo es möglich ist, was zu machen. Und letztendlich muss man auch mal sehen, dass es um die Gäste geht. Lokale, die barrierefrei sind, bekommen behinderte Gäste als Kunden. Es geht ja nicht nur um Almosen, sondern es geht auch darum, einen Kundenkreis zu bedienen. Der Bundeswirtschaftsminister müsste das aber eigentlich wissen.