Einfach nur nach London

Christiane Link

Ich war schon ziemlich müde als ich am Flughafen ankam. Nicht nur, dass ich die Zeitumstellung nach meinem USA-Urlaub noch nicht ganz verdaut hatte. Es war nicht einmal 7 Uhr als ich am British Airways-Schalter einchecken wollte. Ein freundlicher Engländer wies die Passagiere vor mir darauf hin, dass sie auch am Automaten einchecken können. Er werde ihnen das gerne zeigen. Die Begeisterung darüber hielt sich bei den meisten in Grenzen.

Als ich an der Reihe war, bat er mich zum einzigen besetzten Counter zu gehen, da ich wegen der Bestellung der Assistenz und des Sitzplatzes (für behinderte Flugreisende sind oft spezielle Sitze geblockt, die man am Automaten nicht bekommt) nicht am Automaten einchecken kann. Gesagt, getan. „Eigentlich nehme ich hier nur das Gepäck der Passagiere an, die am Automaten eingecheckt haben“, begrüßte mich die Mitarbeiterin. „Ihr Mitarbeiter hat mich hier her geschickt“, antwortete ich. Ich wurde zunehmend wacher und stellte mich auf eine Konversation ein, bei der Müdigkeit extrem hinderlich sein könnte. „Wo soll ich denn sonst einchecken?“ „Hmm, dann müssen Sie wohl doch bei mir einchecken.“ Puh, die erste Hürde hatte ich gemeistert.

„Wie viele Gepäckstücke haben Sie?“, fragte die Mitarbeiterin weiter. Eines und den Rollstuhl. „Ist das Ihr eigener Rollstuhl?“ „Ja“, sagte ich und kämpfte weiter mit der Müdigkeit. „Ich nehme ihn mit zum Gate„, sagte ich, um der nächsten Frage vorzubeugen. „Das geht nicht“, sagte sie. Ich erklärte ihr, dass ich wahrscheinlich schon mehr als 50 Mal oder mehr ab Hamburg geflogen bin und auch mit ihrer Airline und dass ich immer meinen Rollstuhl mit ans Gate nehme. „Er wiegt nur 10 Kilo. Die Packer können ihn die Treppe hinunter tragen“, erklärte ich ihr. Sie hatte Angst, dass er nicht auf die Treppe passt, aber ich setzte mich durch. Sie befestigte das Tag an meiner Tasche und am Rollstuhl und gab mir die Bordkarte. Platz 22 stand darauf. „Entschuldigen Sie, ist es nicht möglich, mich weiter vorne hinzusetzen, sonst müssen mich die DRKler durchs ganze Flugzeug schleppen?“, fragte ich. Sie schaute auf ihren Monitor und grübelte. „Da ist nichts mehr frei und die Reihe 9 ist geblockt.“ „Ist das die erste Reihe in der Eco?“, fragte ich. „Ja genau“, antwortete sie. „Kann es nicht sein, dass die Reihe für behinderte Passagiere geblockt wird?“ und war über meine Reaktion kurz vor dem Tiefschlaf schon selbst überrascht. „Ja. Da muss ich mal nachfragen.“

Sie telefonierte und schilderte Chefe die Situation. „Für behinderte Reisende ist die Reihe 22 vorgesehen“, sagte sie mir. „Sie müssen zugeben, dass das nicht wirklich durchdacht ist“, sagte ich ihr. Sie sagte es Chefe. „In Reihe 9 sind die Armlehnen nicht hochzuklappen“, erklärte sie mir. „Ich bin schon x Mal mit Ihnen geflogen. Es hat sich noch nie irgendjemand dafür interessiert, ob die Armlehne hoch klappbar ist. Mir ist es egal. Ich kann klettern. Mir ist viel wichtiger, dass meine Beine nur an 8 Reihen vorbei schlagen und nicht an 22.“ Chefe lies fragen, ob ich wirklich über die Armlehne komme. Ich versicherte es und bekam Reihe 9.

Immer noch mit der Müdigkeit kämpfend ging ich zur Handgepäckkontrolle. Ich muss immer per Hand gecheckt werden, weil der Rollstuhl die Geräte natürlich zum Piepen bringt. Ich steuerte also auf eine Mitarbeiterin zu. „Können Sie aufstehen?“, fragte sie. Ich verneinte. „Können Sie wirklich nicht aufstehen?“, fragte sie jetzt mit ziemlich harschem Ton. Es war nicht einmal 7 und ich war schon bedient für den ganzen Tag. „Hören Sie“, sagte ich. „Ich bin querschnittgelähmt und kann keinen Schritt gehen. Wenn ich Ihnen sage, dass ich nicht stehen kann, müssen Sie mir das schon glauben.“ Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie verstand, was ich sagte. „Wir hatten erst vor kurzem jemanden, der auf einer Waffe saß“, erklärte sie mir. „Ich sitze aber auf keiner Waffe. Und ich schwöre Ihnen, ich kann auch nicht aufstehen.“ Sie tastete mich ab – nicht sehr gründlich – und ließ mich gehen. Ein anderer Beamte nahm Staubproben von meinem Rollstuhl und untersuchte sie. Das ist nichts ungewöhnliches und wird an vielen Flughäfen gemacht.

Das Rote Kreuz, das die Assistenz für behinderte Reisende am Hamburger Flughafen leistet, war ausnahmsweise pünktlich am Gate. Ich werde immer vor den anderen Passagieren geborded. Das klappte problemlos. Nach mir kam eine Mutter mit Zwillingskinderwagen, bei der wohl die Angst der Mitarbeiterin am Check-In wegen der Größe und des Gewichts des Kinderwagens auch nicht gesiegt hatte.

„Who ist travelling with you?„, begrüßte mich die Flugbegleiterin. „Nobody“, antwortete ich verwundert. Ich verstand erst nicht ganz, was die Frage sollte. Als ich ihren Gesichtsausdruck sah, verstand ich es doch. „Die Engländer haben ein Antidiskriminierungsgesetz“, schoss es mir durch den Kopf. „Die können Dich nicht ablehnen.“ In der Zwischenzeit war ich sowieso in Reihe 9 angekommen und kletterte über die Armlehne. Die anderen Passagiere kamen auch schon und die Stewardess ignorierte mich. Puh, das hätte mir noch gefehlt: Eine Diskussion, ob sie mich alleine mitnehmen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Rollstuhlfahrer an der Flugzeugtür abgewiesen werden.

Ich schlief den ganzen Flug und wachte erst mit Aufsetzen des Fliegers wieder auf. Nach der Ankunft muss ich immer warten bis alle anderen Passagiere das Flugzeug verlassen haben, damit die Assistenz mit dem Bordrollstuhl rein kann. Die Fluggäste waren längst draußen, aber es kam niemand. Ich machte das Personal darauf aufmerksam, dass mein Rollstuhl noch unten im Frachtraum sein muss und ich keinesfalls will, dass er ins Terminal transportiert wird. In London holt die Assistenz die Rollstühle aus dem Bauch des Flugzeugs, aber die war ja nicht da. Der Pilot war so nett und ging runter aufs Flugfeld und trug den Rollstuhl eigenhändig die Treppe hoch. Der erste nette Mensch, der mir an diesem Morgen begegnete!

Nach 30 Minuten war immer noch niemand da. Die Crew musste eigentlich auf einen Weiterflug nach Genf, durfte aber das Flugzeug nicht verlassen, weil ich ja da noch saß. Irgendwann kam einer der Assistenzleute des Flughafens. Ohne Bordrollstuhl. Sie könnten keinen finden. Der Pilot war dem Wahnsinn nahe. Dafür hatte ich aber Gelegenheit, die Flugbegleiterinnen ein bisschen zu schulen, was den Umgang mit behinderten Fluggästen angeht. Sie konnten gar nicht fassen, dass ich fast immer alleine fliege.

Nachdem das Putzpersonal mit dem hinteren Teil des Flugzeugs fertig war, fragte einer Männer, warum ich denn da noch sitze. Der Pilot erklärte es ihm. Und dann hatte der Mann einen genialen Einfall. Er wisse, dass man die Sitze der Businessclass so weit zusammen schieben kann, dass mein eigener Rollstuhl in den Gang passen müsste. Ich saß ja, meiner Diskutiererei sei Dank, direkt hinter der Businessclass. Die Stewardess merkte noch an, dass sie für die Aktion Sitzen verrücken einen Kopf kürzer gemacht werden, da hatte der eifrige Putzmann aber auch schon die Sitze zusammen geschoben. Und er hatte recht. Der Rollstuhl passte in den Gang. Nach 45 Minuten war ich endlich aus dem Flugzeug draußen. Am Gepäckband warteten noch einige andere Fluggäste aus Hamburg. Das Gepäck war noch nicht da. Ich wunderte mich zwar, aber es war wenigstens solidarisch. Alle mussten warten, nicht nur ich. :-)

Irgendwann kamen die Taschen dann doch. Meine gleich an zweiter Stelle – mit einem fetten Loch und sichtlichen Schleifspuren. Totalschaden. Es war nach englischer Zeit nicht einmal 10 und ich war lange reif, um mich wieder ins Bett zu legen.



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