Finally British

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Nach 11 Jahren in Großbritannien bin ich nun endlich Britin und somit Besitzerin eines britischen Passes. Ob mir die Entscheidung leicht gefallen ist, werde ich gerade recht oft gefragt. Ja total, denn ich darf ja meinen deutschen Pass behalten, bin also weiterhin EU-Bürgerin und bekomme den britischen Pass noch dazu.

Die Entscheidung, die britische Staatsangehörigkeit zu beantragen war für mich in erster Linie politisch motiviert. Ich bin noch immer empört darüber, dass EU-Bürger beim Brexit-Referendum 2016 nicht mitabstimmen durften. Wir dürfen auch bei Parlamentswahlen nicht wählen, dementsprechend gering ist der Einfluss von EU-Bürgern in Westminster (Ausnahme sind Bürger der Länder Irland, Malta und Zypern), obwohl immerhin 3,5 Millionen EU-Bürger in Großbritannien leben.

Natürlich war ich nach dem Brexit erst einmal sauer. Verletzt. Und ich habe mich bis jetzt nicht an die EU-Bürgerfeindliche Rhetorik der britischen Medien gewöhnt. Allerdings habe ich bis zum heutigen Tag in UK noch nicht ein einziges Mal wirklich Diskriminierung aufgrund meiner Herkunft erfahren. Nicht einmal beim Fußball, wenn England gegen Deutschland spielt. Das heißt aber nicht, dass es anderen Europäern nicht passiert. Gerade viele Osteuropäer sind Diskriminierungen ausgesetzt und die Zahlen an Hasskriminalität sind explodiert nach dem Referendum.

Aktionismus statt beleidigte Leberwurst

Nach etwa vier Monaten nach dem Referendum wich mein Gefühl, einfach nur beleidigt zu sein, dem Aktionismus. Ich wollte nicht tatenlos zusehen, wie eine Gruppe von Bürgern, zu der ich absurderweise gehöre, so zum Sündenbock gemacht wird. Ich fand eine Gruppe auf Facebook, die sich gerade gegründet hatte, in der Anwälte kostenlos Rechtsberatung für EU-Bürger anbieten, die eine Aufenthaltsgenehmigung oder Staatsangehörigkeit beantragen wollen. Die Idee dahinter: Natürlich den Menschen in Zeiten des Brexit Sicherheit zu geben, aber auch sie zu Wählern zu machen. Der Gedanke gefiel mir und ich beschloss, selbst Wählerin zu werden. Dafür brauchte ich einen britischen Pass.

Mir war meine Staatsangehörigkeit nie sonderlich wichtig. Sie ist in erster Linie bequem und ich habe Glück mit meinem deutschen Pass. Aber ich habe nichts dafür getan, diesen zu bekommen. Bei Menschen, die betonen, dass sie stolz auf ihre Staatsangehörigkeit sind, frage ich mich immer, ob sie sonst noch nie etwas im Leben geleistet haben, wenn sie auf etwas stolz sind, für das sie genau nichts getan haben. Insofern habe ich nie den Gedanken gehabt, mit einem britischen Pass meine deutsche Staatsangehörigkeit zu entwerten oder sowas. Ein Pass ist für mich in erster Linie ein Reisedokument.

Wie Asterix in Rom

Mit dem britischen Pass ist das aber ein bisschen anders. Dafür habe ich wirklich viel geleistet. Es hat mich Monate gekostet, Papiere zusammenzutragen für die Aufenthaltsgenehmigung. Ohne Aufenthaltsgenehmigung, keine Staatsangehörigkeit. Ich musste zu einem Englischtest, weit unter meinem Niveau, der 10 Minuten dauerte, aber sage und schreibe umgerechnet rund 180 Euro kostete. Ich musste einen „Life in the UK“-Test bestehen. Mehr als 1000 Antworten auswendig lernen. 90 Prozent der Fragen haben mit dem alltäglichen Leben in Großbritannien nichts zu tun.

Am Ende muss man dann den Antrag auch noch korrekt stellen, muss seine biometrischen Daten abgeben und wenn man akzeptiert wurde, eine Zeremonie besuchen und einen Eid ableisten. Aber ich war so motiviert, endlich wählen zu dürfen, ich bin wirklich über jede Barriere gesprungen, die sich mir in den Weg gestellt hat. Das Englischtestcentre zum Beispiel, die sofort meinen Testtermin stornierten als sie hörten, dass ich Rollstuhlfahrerin bin. Oder die Tatsache, dass es keinerlei Informationen über das „Life in the UK“-Testcentre gab und ich einfach vorher hinfahren musste, um zu überprüfen, dass es barrierefrei ist. Ich kam mir vor als sei ich die erste Rollstuhlfahrerin, die in diesem Land britische Staatsangehörigkeit beantragt.

Text für den Eid

Ausdauer und Geld

Und neben Ausdauer braucht man natürlich auch Geld. Alles in allem hat mich der ganze Vorgang rund 2000 Pfund gekostet. War es das wert? Auf alle Fälle! Ich bin jetzt nicht mehr von launischen Verhandlungsrunden in Brüssel abhängig. Ich bin kein Faustpfand mehr in unsäglichen Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien. Ich kann das Land auch verlassen so oft und so lange ich will und bin nicht mehr an Aufenthaltsregeln gebunden oder an die maximale Dauer von Auslandsaufenthalten bevor man seinen Status wieder verliert. Ich könnte jetzt also auch einfach gehen und in zehn Jahren wiederkommen. Wenn der Brexit kommt, wäre das so einfach nicht mehr möglich.

Außerdem habe ich einen großen Spaß daran, jedem im politischen London aufs Brot zu schmieren, dass ich jetzt wählen darf, sollte es zu einem zweiten Referendum oder gar Neuwahlen kommen und viele Tausende Neueingebürgerte aus der EU ebenfalls.

Ich hoffe, dass noch viele Tausende EU-Bürger sich ebenfalls dazu entschließen, britische Staatsangehörige zu werden. Allein der Gedanke, dass man eine Gruppe an Menschen loswerden will und die stattdessen künftig mitbestimmen dürfen, erfüllt mich mit großer Genugtuung. Die Facebookgruppe, mit der alles anfing und die ich unterdessen mitadministriere, hat seit ihrer Gründung mehr als 1000 Menschen zur Aufenthaltsgenehmigung und / oder zur Staatsangehörigkeit verholfen.

Der Pass wird niemanden vor Diskriminierung auf der Straße schützen, aber er ist ein Pass zu mehr Rechten. Rechte, die ich mir vielleicht nie gesichert hätte, wenn man nicht damit gedroht hätte, bereits vorhandene Rechte zu beschneiden.