Gewalt ist doch ne Lösung

Christiane Link

Einige Rollstuhlfahrer meiden ja lange Flugreisen, weil Flugzeuge nicht gerade die barrierefreiesten Verkehrsmittel sind und zudem immer etwas Unsicherheit in sich bergen: Kommt der Rollstuhl an? Wie ist das Personal? Ist ein Bordrollstuhl da? Etc.

Ich versuche diese Unsicherheiten dadurch zu eliminieren, in dem ich möglichst gut plane. Aber der Rückflug von Philadelphia nach München mit US Airways hat mir mal wieder gezeigt, dass man nicht alle Unwegsamkeiten ausschalten kann, aber sich dennoch immer irgendwie eine Lösung finden lässt.

Ich kenne die Abläufe bei Flügen ziemlich genau und ich versuche, mögliche Fallen durch Mitdenken zu umgehen. Ich achte darauf, dass mein Rollstuhl getaggt ist und ich frage bei Langstreckenflügen, ob der Bordrollstuhl auch wirklich an Bord ist, damit ich während des Fluges zur Toilette gehen kann. Ein Bordrollstuhl ist ein kleiner klappbarer Rollstuhl, der in den Gang der Kabine passt. Normale Rollstühle sind zu breit dafür.

Ich fragte also auf dem Rückflug von Philadelphia nach München, wie immer beim Einsteigen, ob ein Bordrollstuhl an Bord sei. Die Flugbegleiterin ging nochmal nachsehen und sagte, es sei einer da. Diesmal konnte ich nicht meinen eigenen Rollstuhl nutzen, wie auf dem Hinflug.

Wir flogen also los, es gab etwas zu essen und zu trinken. Danach wollte ich zur Toilette und bat die Flugbegleiterin um den Bordrollstuhl. Sie bat um etwas Geduld und es passierte erst einmal nichts. Ich dachte schon, sie habe mich falsch verstanden. Aber irgendwann fiel mir auf, dass sie immer wegschaute, wenn sie an mir vorbei lief. Ich ahnte schon, dass irgendwas nicht stimmte. Nachdem sich nach 15 Minuten nichts tat, schaute ich sie offensiv fragend an als sie wieder bei mir vorbei kam. Und tatsächlich, sie sagte, mit dem Bordrollstuhl sei etwas nicht in Ordnung. Er stecke in der Verkleidung des Flugzeugs fest. Sie habe so etwas noch nicht erlebt und es tue ihr leid etc. Man versuche es weiter, ihn aus dem Schrank zu bekommen.

Ich drehte mich um und tatsächlich stand im Gang weiter hinten eine Scharr an Menschen, die sich an einem Schrank zu schaffen machten. Offensichtlich ohne Erfolg. Ich schickte A. nach hinten, um zu klären, was los ist. Unterdessen war auch der Pilot nach hinten gegangen und dann wieder nach vorne. Er telefonierte mit Stirnrunzeln. Lief wieder zurück. Telefonierte wieder. Ich überlegte mir unterdessen wie ich dennoch zur Toilette kommen könnte, malte mir aus, dass man alle Sitze der Businessclass vor mir zurückkippen könnte, alle Leute müssten aufstehen und ich könnte vielleicht vor bis zur Küche über die Sitze klettern. Vielleicht hätte mein eigener Rollstuhl zumindest in diesen Küchengang gepasst. Der war nämlich nicht verladen, sondern oben in der Kabine im Schrank. Ich überlegte mir dann noch, ob ich mich nicht auf einen der Essenswagen setzen könnte – das wäre sicher ein lustiger Auftritt gewesen. Und ich überlegte mir, was ich mit dem zweistelligen Millionenbetrag machen würde, der mir sicherlich durch ein amerikanisches Gericht zugesprochen werde, wenn ich stundenlang nicht zur Toilette kann.

Nach geschätzt einer Stunde kam A. endlich mit dem Bordrollstuhl. Er hatte sich unter einer Metallverkleidung im Schrank verhakt. Die Verkleidung war mit drei Schrauben gesichert, die man spielend leicht hätte entfernen können, wenn es nur einen einzigen Schraubendreher an Bord gegeben hätte. Aber die sind ja bekanntlich verboten.

Nach dem x-ten Telefonat mit einem Verantwortlichen am Boden entschied der Pilot, Gewalt anzuwenden und zu versuchen, die Wandverkleidung rauszureißen. Wahrscheinlich hatte schnell jemand ausgerechnet, dass die Wandverkleidung in jedem Fall preiswerter ist als eine Klage oder eine Zwischenlandung in Grönland. A. und er zogen den Rollstuhl gegen den Willen der Wandverkleidung aus dem Schrank. Die Platte sprang mit einem riesen Knall nach vorne und auch genauso schnell wieder zurück. Aber der Rollstuhl war draußen. Die Wandverkleidung dennoch in Ordnung.

Die Flugbegleiterin sagte dann, nachdem alles vorbei war und ich endlich zur Toilette konnte, zu mir: „Sehen Sie, da haben Sie jetzt wenigstens was zu erzählen, wenn Sie wieder zu Hause sind.“



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