Ich selbstverwirkliche mich, deshalb arbeite ich
Zwei Blogeinträge in einer Woche? Ich weiß nicht mehr, wann das zum letzten Mal vorkam, aber ich habe den Drang, auf diesen Blogeintrag zu antworten. Das Nuf hat sich über dieses Video geärgert
und ihren Ärger in den Blogeintrag mit dem Titel „Geht euch doch selbstverwirklichen, ich geh arbeiten“ fließen lassen.
Nun war ich schon bei der Überschrift verwirrt. Wo ist denn da der Widerspruch? Dann las ich den Blogeintrag und es wurde mir klarer. Ja, ich mag dieses theatralische Gesülze amerikanischer Art und solche Kitschvideos auch nicht besonders. Die Aussage finde ich allerdings nicht so verkehrt. Im Gegenteil.
Ich gehe tatsächlich arbeiten, weil ich das, was ich mache, gerne tue. Mein Beruf ist meine Berufung, meine Selbstverwirklichung. Ich wusste schon immer, ich möchte, nein, ich MUSS Journalistin werden. Seit ich 7 war und ganze Sätze schreiben konnte ungefähr. Als ich etwa 9 Jahre alt war bekam ich als Belohnung für eine Operation einen Tag beim ZDF geschenkt und ab da war ich endgültig verloren an den Journalismus.
Hätte ich auf die guten Ratschläge um mich herum gehört, wäre ich heute Juristin oder Lehrerin – „der Staat stellt ja doch manchmal Behinderte ein“ – oder Telefonistin – „das raten wir allen Rollstuhlfahrern“. Gott sei Dank bin ich so stur und habe wie eine Bekloppte daraufhin gearbeitet, Journalistin zu werden. Hat dann ja auch geklappt.
Nun brauche ich ja nicht zu verschweigen, dass es für mich schon etwas aufwendiger ist, arbeiten zu gehen, vor allem in einem Beruf, bei dem man ständig draußen rumturnt, als für Leute, die den Journalistenberuf auf zwei Beinen ausüben – das liegt in erster Linie in der nicht immer barrierefreien Umwelt.
Als ich Volontärin bei dpa war, hatte ich teilweise bis zu 3 Terminen am Tag an immer anderen Örtlichkeiten. Wenn ich die Räumlichkeiten nicht kannte, musste ich anrufen und alles abklären. Das ist auch heute noch so und klappt mal gut, mal weniger gut. Außerdem muss ich immer viel früher los als andere Kollegen, um pünktlich da zu sein, weil ich mit Rollstuhl ins Auto laden und Lifte suchen einfach langsamer bin. Das ist zwar alles manchmal nervig, aber ich liebe meinen Beruf so sehr, ich nehme das gerne dafür in Kauf. Und ja, ich könnte mich auch verrenten lassen, aber ich will das nicht. Mein Beruf ist meine Selbstverwirklichung.
Würde ich diesen Aufwand betreiben für einen Job, der mich nicht erfüllt? Wohl eher nicht. Und unterdessen picke ich mir auch im Journalismus die Rosinen raus. Ich schreibe nur noch, was mir Spaß macht, ich den Aufwand vertretbar finde und das ist mehr als genug.
Als ich meine Firma gründete, habe ich mich für diverse Existenzgründerprogramme beworben. Ich bin in einige aufgenommen worden. Ein Programm stellte mir eine Beraterin zur Seite, die, wie sich später herausstellte, auch Rupert Murdoch beriet. Auf fast jede Frage, die sie mir am Anfang stellte, antwortete ich mit „Weil ich das gut finde“ oder „Weil ich das so gerne mag.“ Ich habe damals eine deutschsprachige Zeitung gestartet, die als einziges Konzept hatte, eine Zeitung zu werden, die ich selber gerne lesen würde. Das gefiel ihr nicht. Ich solle mal aus meiner Komfortzone rauskommen, sagte sie mir. Da habe ich sie rausgeschmissen. Warum? Weil ich glaube, dass Menschen dann gut sind, wenn sie an das glauben, was sie tun. Das ist bei mir jedenfalls so. Außerdem hatte ich meine Komfortzone schon oft genug verlassen. Warum soll ich mir das Leben ungemütlich machen, wenn ich das Sagen habe? Zudem kann ich nichts verkaufen, was ich selber nicht mag. Ich habe an meine Zeitung geglaubt, sie aufgebaut und im vergangenen Jahr, nach 5 Jahren, verkauft. Ganz ohne die Murdoch-Beraterin. Auch das war Selbstverwirklichung, denn ich wollte wieder mehr selber schreiben und ein bisschen mehr Zeit haben.
Und manchmal macht es mich einfach wütend – vielleicht so wütend wie das Nuf beim Betrachten des Videos – wenn ich sehe, dass Menschen völlig gegen ihre Bestimmung leben, sie das Leben eines anderen leben oder weil ihnen das die Eltern oder sonst wer vorgegeben haben.
Wenn ich morgen tot umfalle (bitte nicht!), habe ich zumindest die Gewissheit, mein Leben mit dem ausgefüllt zu haben, was mir Spaß macht, zumindest dann, wenn es möglich war. Die negativen Dinge im Leben kommen so oder so. Da muss man nichts zu tun. Mein Beruf spielt bei den positiven Dingen eine sehr wichtige Rolle. Insofern kann ich die Aussage des Videos gut verstehen.