In der NHS-Augenklinik

Christiane Link

Am Donnerstag war ich mit meiner besseren Hälfte in der Augenklinik. Bei Augenkliniken in Deutschland habe ich immer den Eindruck, der Archtitekt hat gedacht, die Patienten sehen eh nicht, dass das Gebäude hässlich ist. Augenkliniken sind immer hässlich. So auch in England. Artur ist blind und muss in eine NHS-Augenklinik, um ein CVI, ein Certificate of Visual Impairment, zu bekommen. Nur damit ist er gesetzlich blind in England.

Wir waren in der größten Augenklinik der Welt (laut Wikipedia), dem Moorfields Eye Hospital. Die Beschilderung war schon für mich lediglich Kurzsichtige ein Graus, aber mit Durchfragen fanden wir die richtige Abteilung. Alles war in hässlichem Braun gehalten, die einzelnen Abteilungen hatten unterschiedliche Farben. Warum man ausgerechnet in einer Augenklinik auf die Farben Rot und Grün zur leichteren Orientierung setzt, wird das Geheimnis des Architekten bleiben.

Artur meldete sich also in der Abteilung an und eine hochschwangere Mitarbeiterin führte ihn ins Behandlungszimmer. Dass das nicht so ihr Tag war, sah man ihr an. Sie forderte Artur auf, sich auf den Untersuchungsstuhl zu setzen und ließ ihn beim Hinsetzen gegen die Apparatur knallen. Er schlug sich die Nase auf, es blutete und er sollte eine schöne Wunde mitten im Gesicht mit nach Hause nehmen. Die Szene war filmreif. Wie man einen blinden Patienten führt, hatte die Mitarbeiterin offensichtlich nicht gelernt. Und dann stand sie da und sagte nichts, schaute ihn nur hilflos an wie er da so blutete. Artur sagte: „Ich denke, wir müssen das mal desinfizieren und etwas drauf machen.“ Die Mitarbeiterin ging also an den Erste-Hilfe-Kasten, der an der Wand hing und einen ähnlich schäbigen Eindruck machte, wie der Rest des Behandlungszimmers. Und, oh Wunder, der Verbandskasten war leer. Irgendwo fand sie aber doch noch etwas, um ihn zu verarzten.

Als sie Arturs Augen untersuchte, tupfte sie zwischendurch immer das Blut aus seinem Gesicht. Sehr schöne Szene! Dann wollte sie den Augeninnendruck messen. In Deutschland wird das seit Jahrzehnten mit einem Gerät gemacht, das kurz in die Augen pustet. Die Mitarbeiterin nahm aber ein Gerät, das ich in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe, und drückte auf Arturs Augen. Keine angenehme Prozedur…

Dann war er fertig und wir warteten auf den Augenarzt. Wir mussten nicht lange warten. Der Arzt saß in einem moderneren Raum und machte einen kompetenten Eindruck. Er stellte die richtigen Fragen und war sehr bemüht. Bei Augenärzten ist nicht immer sichergestellt, dass sie sich auch mit Blindheit auskennen. Wir hatten in Hamburg mal die Situation, dass ein Augenarzt nachdem (!) Artur sagte, was er hat, ihn aufforderte, die Buchstaben auf der Karte vor ihm vorzulesen. Aber der Augenarzt hier war kompetenter und beließ es bei den nötigsten Untersuchungen.

Und dann passierte etwas, was den schlechten Start am Anfang wieder ausglich. Der Arzt brachte uns zum Social Service des Krankenhauses. Diese sollten uns über alle Rechte informieren, die blinde Menschen in England haben. Wir bekamen stapelweise Unterlagen und Telefonnummern und alles war sehr lebensnah organisiert. Man machte uns verschiedene Angebote zur Unterstützung etc. Weder Artur noch mich hat in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland irgendwer mal über meine Rechte aufgeklärt. Das muss man sich alles selber zusammen suchen. Ich finde auch super, dass die Leute noch gleich im Krankenhaus, also bei vielen direkt nach der Diagnose mit dem Social Service sprechen können. Ich habe immer mehr den Eindruck, dass in diesem Land einige Dinge sehr schlecht und einige Dinge super gut laufen und man sich fragt „Warum gibts das eigentlich in Deutschland nicht?“. Einen guten sozialen Dienst mit Rechtsberatung in großen Augenkliniken einzurichen kostet nicht die Welt, ist aber für Leute, die gerade erfahren haben, dass sie erblinden werden, unheimlich wichtig.



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