Was ich gerade erlebt habe, wäre für den ein oder anderen wirkungsvoller gewesen als jeder Drogen-Aufklärungsfilm. Ich bin, wie so oft, mit dem Bus von Hammersmith nach Hause gefahren. Dabei telefonierte ich. Mir fiel sofort das „Paar“ auf, das mir gegenüber saß. Sie war eine sehr zierliche Asiatin in einem zu kurzen Rock und er ein unauffälliger Brite. Irgendwie passten die beiden nicht zusammen. Er trug 1000 Tüten. Irgendwann fing sie an, sehr komisch zu schauen. Ihr Blick wurde panisch, ohne ersichtlichen Grund. Der Mann redete auf sie ein. Sie begann, sich zu strecken. Krallte ihre Finger in seinen Oberschenkel. Irgendwann konnte sie nicht mehr richtig sitzen und fiel wie ein nasser Sack vor meinen Rollstuhl auf den Boden. Das war der Zeitpunkt, an dem ich aufhörte zu telefonieren.
Der Mann hob sie hoch und sagte zu mir, er würde die Frau gar nicht kennen. Er wolle sie nicht anfassen, er wolle ihr nur helfen. Er hatte irgendwie Angst, jemand würde ihm sexuelle Belästigung unterstellen. Da begriff ich, was eigentlich los war. Der Mann hatte der Frau nur helfen wollen, weil sie offensichtlich unter Drogen stand und hatte ihre Tüten getragen. Er sagte, er sei aus dem Pub gekommen, da habe sie auf dem Bürgersteig gelegen. Dann habe er ihr geholfen und sie habe ihm gesagt, sie wolle in den Bus, könne aber ihre Tüten nicht mehr tragen. Sie käme aber noch bis nach Hause. Diese Einschätzung sollte sich als falsch herausstellen. Dass sie unter Drogen stehe, sagte sie auch noch.
Wir hatten Mühe, die Frau zu beruhigen. Sie hatte starke Schmerzen, rutschte immer wieder vom Sitz und versuchte Teile ihrer Kleidung loszuwerden. Es war ein erbärmliches Bild. Der Mann und ich konnten aber nicht viel tun. Die meisten Fahrgäste drumherum ignorierten den Vorgang. Manche fragten, ob sie betrunken sei. Ich sagte zu dem Mann, er solle den Fahrer vorne informieren. Der Frau ging es unterdessen so schlecht, dass sie nicht mehr reagierte. Wir standen eh gerade an einer Haltestelle und der Fahrer rief auf unser Drängen hin einen Krankenwagen. Während wir auf den Krankenwagen warteten, fing die Frau an, sich zu übergeben und es ging ihr zunehmend schlechter. Sie konnte nicht mehr sitzen oder liegen, sondern stand wie unter Strom an die Stange des Busses gekrallt stocksteif da. Die anderen Fahrgäste waren unterdessen in einen anderen Bus umgestiegen. Der Busfahrer beichtete uns, dass er erst seit ein paar Tagen Busfahrer sei und damit reichlich unerfahren. Ein Busfahrer einer anderen Linie kam zu uns und erklärte unserem Fahrer, welchen Report er später ausfüllen müsse. Der Krankenwagen aber kam und kam nicht.
Nach geschlagenen 25 Minuten (!) kam endlich ein Krankenwagen. Dabei war ein Krankenhaus direkt um die Ecke. Ich hatte schon vorgeschlagen, mit dem Bus direkt da hin zu fahren, aber dafür brauchte der Busfahrer wahrscheinlich erst fünf andere Formulare, die er noch nicht kannte. Die Frau war unterdessen nicht mehr ansprechbar. Nur auf eine Frage antwortete sie später klar und deutlich: Ob sie mit ins Krankenhaus wolle. Das wollte sie. Der Mann, der ihr von Anfang an geholfen hatte, meinte zu mir, er ärgere sich jedesmal über sich selbst, dass er Leuten wie ihr hilft und dadurch in Schwierigkeiten kommt. Ich habe ihm geantwortet, dass die Gesellschaft Leute wie ihn dringend braucht und dass es letztendlich egal ist, warum es der Frau so schlecht geht. Klar ist, dass man ihr helfen muss.
Die Sanitäter machten auf mich einen sehr kompetenten Eindruck. Die Sanitäterin versuchte Kontakt zu der Frau aufzunehmen, während der andere Sanitäter mit uns sprach und uns über ihre Verhalten ausfragte und was sie gesagt hat. Sie spritzen der Frau ein Medikament und nahmen sie mit. Und der Mann, der sich um die Frau von Anfang an gekümmert hat, ist dann auch noch mit ins Krankenhaus gefahren. Es gibt doch noch Helden in diesen Zeiten!