Ohne Barrierefreiheit keine Inklusion

Christiane Link

Ich bin wütend. Wütend darüber, was seit wirklich viel zu langer Zeit in Deutschland passiert – oder besser gesagt nicht passiert – und heute in der Verabschiedung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gegipfelt ist. Schon bei dem Namen des Gesetzes hat man den Eindruck, das BMAS ist zwar gut in Scrabble aber nicht sehr gut darin, mal wirklich für Barrierefreiheit und Inklusion in Deutschland zu sorgen.

Scrabble

The law is not worth the paper it is printed on. The highlight is the accessibility of ATMs by 2040, but of course not structurally, but the software should be barrier-free. This is funny because hardly anyone will need ATMs by 2040 and this software has been around for decades – made in Germany, of all places. Only the German banks don’t care so much about disabled customers that they hardly use the software.

Keine Verbesserungen

Ich bin auch deshalb wütend, weil die EU mir zum x-ten Mal vor Augen führt, dass sie sich eigentlich wenig bis nicht für ihre behinderten Bürger*innen interessieren. Das ist für mich nichts neues, spätestens seit den Brexit-Verhandlungen ist mir klar, dass behinderte EU-Bürger*innen auf hoher See und bei Verhandlungen, bei denen man sich auf die EU-Kommission verlassen muss, in Gottes Hand ist. Die EU möchte also die Barrierefreiheit verbessern, aber mehr so a la „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“. Und jedes Land muss nun also das inhaltsschwache Gesetz umsetzen. Und was macht Deutschland? Sie setzen 1:1 um. Es steht nur leider kaum etwas drin, was das Leben behinderter Menschen verbessern würde. Siehe das viel zitierte Beispiel mit den Geldautomaten. Viel konkreter wird man nichts merken von dem Gesetz und genau das ist der Skandal.

Deutschland und die EU hängen im internationalen Vergleich Jahrzehnte hinterher, wenn es um Barrierefreiheit, Teilhabe und Antidiskriminierung behinderter Menschen geht. Die USA haben seit 1990 das ADA, Großbritannien hat den Equality Act, früher den Disability Discrimination Act. Und das auch schon seit 1995. Beide Gesetze verpflichten die Privatwirtschaft umfassend zur Barrierefreiheit. Also ich halte noch einmal fest, die beiden kapitalistischen Länder USA und UK verpflichten die Privatwirtschaft, aber die soziale Marktwirtschaft Deutschland schafft das nicht so, dass sich die Lebenswirklichkeit behinderter Menschen wirklich ändert.

Rollentausch

Aber zurück zur Bundestagsdebatte, die ich mir heute in einem Zustand von Schock, Ungläubigkeit und Amüsiertheit angesehen habe. Da stellen sich die beiden Wirtschaftsamazoninnen der SPD hin und verteidigen ein Gesetz, das angeblich ihr Koalitionspartner CDU so wollte. Aber den Eindruck vermittelten sie gar nicht, dass ihnen das aufgezwungen wurde. Im Gegenteil. Die SPD-Abgeordnete Angelika Glöckner wirkte fast so als hätte sie einen Job in einem Lobbyverband der Bankenwirtschaft schon in der Tasche.

Und dann stellt sich ausgerechnet der Abgeordnete der FDP ans Pult und fordert mehr Barrierefreiheit. Sagt mal SPD, ist Euch das nicht megapeinlich? Das ist fast so als würde die FDP die Grünen an Tempo 100 erinnern und Eure Bankenheldin aus der Pfalz setzt noch einen drauf und versucht die Forderung von behinderten Menschen nach Barrierefreiheit dafür verantwortlich zu machen, dass immer mehr Bankfilialen schließen. Dass das einfach ein überholtes Geschäftsmodell ist, so wie sie überholte Denkweisen hat, wie Inklusion wirklich funktioniert, darauf scheint bei der SPD niemand zu kommen.

Der Abgeordnete der CDU erzählte wieder was von den Barrieren in den Köpfen, die man zuerst abbauen müsse, bevor man Barrierefreiheit in Deutschland verpflichtend macht. Wie lange soll dieser Prozess eigentlich noch dauern und für wie blöd halten die ihre Wähler*innen eigentlich? Selbst die eingefleischtesten CDU-Wähler, die ich kenne (und ich kenne viele, ich bin da genetisch vorbelastet), stellen sich nicht gegen solch eine Gesetzgebung, wenn man ihnen erklärt, zu was das in den USA und in Großbritannien geführt hat.

Keine Inklusion ohne Barrierefreiheit

Ich bin fest davon überzeugt, dass die bessere Beschäftigungsquote behinderter Menschen in Großbritannien im Vergleich zu Deutschland (in UK arbeiten doppelt so viele behinderte Menschen im erwerbsfähigen Alter wie in Deutschland) sehr stark auf das DDA und den Equality Act zurückzuführen ist. Sowohl in den USA als auch in UK war es eine konservative Regierung, die die Gesetze eingeführt haben. Das muss man sich mal klarmachen!

Ich kann nur sagen, mich macht der Zustand Deutschlands – und eigentlich der gesamten EU – wirklich traurig in Bezug auf Barrierefreiheit und Inklusion. Es wird für behinderte Menschen keine Inklusion ohne Barrierefreiheit geben und sie wird ohne Gesetzgebung nicht kommen. Wer Inklusion will, muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Das tut derzeit weder die deutsche Regierung noch die EU.



Großartig! Als nächstes vollständige Kasse für vollen Zugriff auf Behindertenparkplatz
Willkommen zurück! Sie haben sich erfolgreich angemeldet
Sie haben Behindertenparkplatz erfolgreich abonniert
Erfolg! Ihr Konto ist vollständig aktiviert, Sie haben jetzt Zugriff auf alle Inhalte
Erfolg! Ihre Zahlungsinformationen wurden aktualisiert
Ihre Abrechnung wurde nicht aktualisiert