Ich habe ein englisches Lieblingswort. Es heißt „Patronising“ und bedeutet so viel wie „bevormundend“ oder „herablassend“. Es wird hier sehr oft benutzt, denn „Patronising“ ist verpönt.
Das Wort kam mir in den Sinn als ich diesen Beitrag auf „Der Westen“ über ein gehörloses Paar mit Baby sah. Wie kann man ein Porträt über ein Paar machen, das selber aber nicht ein einziges Mal zu Wort kommt? Stattdessen spricht die „patronising“ Tante und kritisiert, dass die Mutter das Wort „Papa“ und den Namen des Kindes nicht ordentlich aussprechen kann. „Das üben wir noch“, erklärt die Tante dem Publikum.
Sie redet über die Eltern als seien sie selber Kinder, dabei sind sie beide über 30.
Weder im Artikel zum Beitrag noch im Video kommen die Eltern, um die es eigentlich geht, einmal zu Wort.
Man kann kein Porträt über gehörlose Menschen schreiben und drehen ohne Dolmetscher, außer die gehörlosen Menschen sind sehr lautsprachkompetent, was das Paar aber definitiv nicht ist. Ansonsten kommen so Beiträge wie dieser raus, wo es nur darum geht, welch Glück es ist, dass das Kind hören kann. Die gehörlosen Eltern sehen das sicher differenzierter.
Und die Tante macht auch noch ein Fass auf, das keines ist: Das Kind solle nicht in absoluter Stille aufwachsen und sprechen lernen. Ich kenne kein Kind gehörloser Eltern, das nicht ordentlich sprechen kann. So ein Unfug! Im Gegenteil, die Kinder übersetzen teilweise recht früh für ihre Eltern und sind teilweise sogar recht sprachgewandt.
Die Verantwortung für solche Beiträge liegt aber auch bei den gehörlosen Menschen selbst. Man darf sich nicht darauf einlassen, ohne Dolmetscher oder andere für einen erforderliche Kommunikationshilfen solche Treffen mit Journalisten zu machen und die Tante oder sonstwen für einen sprechen zu lassen, wenn man nicht super lautsprachkompetent ist. Dann passiert genau das, was passiert ist. Man kommt im eigenen Porträt gar nicht mehr zu Wort.
Update: Beim Taubenschlag und bei Jule gibt es weitere Kommentare.
Update 2: Der Autor des Beitrags äußert sich hier.
Da das Video keine Untertitel hat, habe ich es transkribiert, damit auch gehörlose Menschen wissen, was über die berichtet wird:
[Babygeschrei]
Tante: Die Mama ist da.
Mutter: Mama.
Tante: Das ist jetzt im Moment so das einzige Wort, was sie jetzt sprechen kann. Aber da bemühen wir uns, dass sie da noch mehr… Sie muss ja auch mal den Namen rufen können. Aber das wird erst noch geübt.
Bei den beiden ist der Unterschied, dass, wenn sie „Mama“ oder „Papa“ sagen vom Mundbild her ja gleich ist. Und ich kann ja nur diese Kindersprache. Ich sage dann „Maaaama“ und „Paaapa“. Und dann macht er – [Übersetzung in DGS]
Mutter: Mama
Tante: Und? Papa? Ne, das kann sie noch nicht. Nein, das kriegt sie noch nicht raus.
[Bildschnitt]
Tante: Och. Och. Was ist denn?
Für uns, das möchte ich noch sagen, ist es sehr wichtig, dass das Baby, also Mia, lernt, dass eben nicht das stille Glück alles ist, sondern dass man das auch durch die Kommunikation, die wir dann rüberbringen, dass sie merkt, „Aha, da ist nicht nur diese Gebärdensprache“, sondern sie hört auch die Töne und kann sich auch da schon ein bisschen drauf einstellen, dass die Sprache wichtig ist für sie.
[Bildschnitt]
Tante: Du musst jetzt arbeiten.
[Gebärdensprache des Sohnes]
Tante: Tschüss.
Tante: Er hat sich jetzt verabschiedet, weil er jetzt arbeiten muss. Und dann gesagt: „Bis heute abend.“