Schule

Christiane Link

Neun Jahre ist es jetzt her, dass ich mein Abitur gemacht habe – nach dem Besuch eines regulären Gymnasiums, einer regulären Grundschule und zwei stinknormalen (okay, eines katholischen und eines evangelischen) Kindergartens. In gewisser Weise dachte ich auch, dass das normal ist. Ich habe lange Zeit gedacht, dass alle behinderten Schüler auf ganz normale Schulen gehen wie ich – bis ich auf einer Freizeit andere behinderte Kinder traf, die auf eine Körperbehindertenschule gingen. Aber auch da dachte ich noch, das sei eine Minderheit. Als ich an die Uni kam, dachte ich, jetzt treffe ich all die anderen rollstuhlfahrenden, nix sehenden oder nix hörenden Leute, die bislang andere normale Schulen besucht haben. Aber die Ausbeute war relativ gering. Obwohl die Uni Hamburg 45 000 Studenten hat, wimmelt es da nicht an behinderten Studenten. Im Gegenteil, ich fiel nicht nur in der Schule, sondern sogar an der Massenuni auf.

Nur 9 Prozent aller behinderten Schüler in Deutschland werden integrativ beschult, das heißt sie gehen in die Schule, in die auch der Nachbarsjunge geht. Es gibt Körperbehindertenschulen, Gehörlosenschulen, Schwerhörigenschulen, Blindenschulen, Schulen für Sprachbehinderte… Ein riesen System! Und die wenigsten finden aus diesem System den Weg zum Abitur oder sogar an die Uni. Die Gründe dafür sind vielfältig. Viele dieser Schulen bieten schonmal gar kein Abitur an. Wer wirklich Abitur machen will, muss sich irgendwie zu einer Schule durchkämpfen, die Abitur anbietet. Oft heißt das Internat. Es wird auch vielfach selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Eltern grundsätzlich bereit sind, das behinderte Kind im hunderte Kilometer entfernten Internat zur Schule zu schicken, statt im Nachbarort. Gefragt werden sie übrigens in den wenigsten Fällen. Im Gegenteil, Eltern, die ihr Kind in eine Regelschule schicken wollen, müssen kämpfen bis zum Umfallen. Sie müssen eine barrierefreie Schule finden, einen Schulleiter, der das mitmacht, ist das Kind auf Assistenz angewiesen entweder selber zahlen oder wieder kämpfen. Einen Rechtsanspruch gibt es in den meisten Bundesländern nicht.

Neun Jahre habe ich also keine Schule mehr von innen gesehen und ich dachte während meiner Abizeit, dass in zehn Jahren schon viel mehr behinderte Schüler ganz normal wie ich zur Schule gehen können. Tsja, da habe ich mich wohl geirrt. Denn warum finden im Jahr 2005 immernoch Tagungen wie diese statt?

Die Gesellschaft schadet sich, meines Erachtens, selbst, wenn sie behinderte Kinder in Sonderschulen schickt. Wie soll eine Gesellschaft lernen mit behinderten Menschen umzugehen, wenn sie sie frühstens im Beruf kennenlernt? Eine Personalchefin, die einen Klassenkameraden hatte, der im Rollstuhl saß, wird viel eher einen Rollstuhlfahrer einstellen als jemand, der als Personalchef Berührungsängste hat.

Mir hat es enorm geholfen, dass ich von Kind an gelernt habe, mich in einer nicht behinderten Umgebung durchzusetzen, Barrierefreiheit einzufordern und in einem nicht behinderten Umfeld zu meiner Behinderung zu stehen. Schwimmen lernt man auch nicht auf dem Trockenen. Und nach der Schulzeit den Umgang mit nicht behinderten Leuten zu lernen, ist schwer. Dabei geht es gar nicht um Anpassung, sondern darum, sich durchzusetzen.

Wer behinderte Kinder von Anfang an ausgrenzt, in dem man sie separiert, der darf sich nicht wundern, wenn später die Integration nicht klappt. Und vielfach kommt dann das Argument, dass man behinderte Kinder vor der „Grausamkeit“ der anderen Kinder schützen will. Das impliziert, dass Erwachsene später weniger grausam sind. Mitnichten. Aber man ist viel besser im Training, wenn man den grausamen Erwachsenen schon als Kind begegnet ist. Und die Kinder sind vielfach gar nicht so schlimm, wie einige meinen. Außerdem: Wenn es normaler wird, dass auch behinderte Kinder in der Schule sind, verliert sich auch der Sonderstatus in der Schule.

„Ja, bei Dir ist das was anderes,“ höre ich manchmal, insbesondere von der Spezies der Sonderpädagogen. Ich kann dem nur widersprechen. Es ist die klassische Huhn-Ei-Frage. Nicht, weil ich selbstbewusst bin, bin ich in der Regelschule nicht untergegangen. Ich bin dort selbstbewusst geworden und zweifele daran, ob ich das in der Sonderschule geworden wäre.



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