Wir wollten eigentlich nur 2 Tage in Stockholm bleiben. Artur hat dort einen Vortrag gehalten und ich bin mitgefahren. Ich war noch nie in Stockholm und wollte mir die Stadt mal ansehen. Für 2 Tage ist das auch wirklich ein sehr schönes Reiseziel – es wurden dann aber 9 Tage.
Schon am Mittwoch scherzten wir, ob wir wohl ein Wochenende dran hängen müssen, weil in Island ein Vulkan ausgebrochen sei. Es wurde nicht nur ein Wochenende, es wurde eine ganze Woche.
Hotelzimmer wurden knapp
Ich gebe zu, es gibt schlimmere Orte, an denen man festsitzen kann als Schweden, zumindest wenn man in einem der besten Hotels der Stadt in einem barrierefreien Zimmer untergebracht ist. Ich hatte am Donnerstag schon Lufthansa angerufen, nachdem unser Flug gecancelt war. Der Mitarbeiter meinte zu mir, ich könne zum Flughafen rausfahren und mir einen Hotelvoucher geben lassen, aber sicher sei er sich nicht. Ich könne auch einfach in diesem Hotel bleiben. Eventuell zahle Lufthansa das Zimmer. Mein Bauchgefühl sagte mir, dieses Zimmer unter keinen Umständen herzugeben und es sollte richtig sein.
Am Freitag erzählte uns dann eine Mitarbeiterin eines anderen Hotels, dass sie bereits 80 Gäste wegschicken mussten – alle gestrandet in „Stuckholm“ wie für uns die schwedische Hauptstadt künftig heißen wird.
Flug umbuchen und Wäsche waschen
Die Tage verbrachte ich damit, unseren Flug umzubuchen. Es dauerte Stunden bis man jemanden erreichte, aber wir wollten sofort auf einen neuen Flug, wenn der alte mal wieder gecancelt war bevor andere Leute die Maschine schon gefüllt hatten. Es gehen nicht wahnsinnig viel Maschinen von Stockholm Richtung Deutschland bzw. England. Wäsche waschen war auch eine beliebte Beschäftigung, denn wir hatten ja nur Wäsche für zwei Tage dabei.
Britisch-Belgische Bustour
Am Anfang der Woche fing ich an, nach alternativen Transportmöglichkeiten zu suchen – mit wenig Erfolg. Züge ausgebucht, aus Kopenhagen bekam ich die Information, dass die Deutsche Bahn nur noch mit Ticket einsteigen lässt, dieses aber schwer zu bekommen ist. Irgendwann surfte ich auf die Seite der britischen Botschaft in Stockholm und fand eine Sonderseite für gestrandete Briten in Stockholm mit einer schwedischen Telefonnummer, mit der man sich in Verbindung setzen konnte. Ich rief dort an in der Hoffnung, dass die eine Idee hatten, wie wir wieder nach London kommen. Und tatsächlich, die nette Frau am Telefon sagte mir, man habe gemeinsam mit der belgischen Botschaft einen Bus organisiert, der zumindest nach Brüssel fahre. Wenn wir Glück hätten, bekämen wir dort einen Anschluss mit dem Eurostar. Nun muss ich sagen, Busreisen gehören nicht gerade zu meiner bevorzugten Reiseart, aber ich hatte ja keine Wahl. Wir wollten nach einer Woche Stockholm in dreckigen Klamotten einfach nur nach Hause und der Luftraum war nach wie vor zu. Um 23.15 Uhr sollten wir zur belgischen Botschaft kommen, von dort sollte die britisch-belgische Evakuierungstour starten. Am Ende des Telefonats fragte mich die Botschaftsmitarbeiterin noch nach meinem Namen, meinem Geburtsdatum und meiner Passnummer. Da musste ich dann gestehen, dass ich zwar britische Steuerzahlerin bin, aber einen deutschen Pass habe und Artur einen portugiesischen. War aber kein Problem, sie wollten uns dennoch helfen. Wir haben dann noch einen ebenfalls gestrandeten Vortragenden aus den USA mitgenommen, auch das war kein Problem weder für die britische und belgische Botschaft.
Ich hasse Reisebusse
Nun muss man sagen, dass Reisebusse (zumindest kontinentaleuropäische, die in England haben oft Hublifte) mehrheitlich nicht barrierefrei sind. Im Gegenteil, die Treppen sind eng und steil und hinein ging es nur auf dem Po. Die Kanten waren scharf, die Sitze unbequem. Es war eine Tortur. Dass wir diese Reise nicht bis zum Ende mitmachen würden, war spätestens dann klar als der niederländische Busfahrer sagte, man werde noch ein Ziel in den Niederlande anlaufen und die Fahrt dauere etwa 24 Stunden. Man werde gegen Mitternacht in Brüssel ankommen. Aber was sollten wir gegen Mitternacht in Brüssel? Ein barrierefreies Hotelzimmer suchen. Pah! Aussichtslos bei den vielen Leuten, die versuchten mit dem Eurostar nach England zu kommen!
Hamburg-Stillhorn
Also beschlossen wir, an der Raststätte Hamburg-Stillhorn auszusteigen und von dort zum Hauptbahnhof zu fahren. Die Fahrt hatte langsam etwas von einem Road Movie.
In Dänemark mussten wir auf der Fähre raus aus dem Bus, was wieder Kletterkünste meinerseits bedeutete. Aber da konnte ich wenigstens zur Toilette gehen. Die Bustoilette war für mich unerreichbar.
In Hamburg-Stillhorn haben wir uns dann ein Taxi gerufen. Der Taxifahrer staunte nicht schlecht als er fragte „Wo kommen Sie denn her?“ und wir sagten „Aus Stockholm und wir wollen nach London.“ Aber erstmal wollten wir zum Bahnhof. Dort angekommen sagte uns der Bahnmitarbeiter, dass es keine Eurostar-Tickets mehr gebe und wir uns besser auf den Weg nach Süden machen sollten, denn die französischen Bahnen streikten sowieso. Gut, dass wir nicht nach Brüssel gefahren waren!
Frankfurt
Also beschlossen wir, kurzerhand mit unserem amerikanischen Anhang nach Frankfurt zu fahren. Dort standen sowohl unsere als auch seine Chancen besser, einen Flug nach Hause zu bekommen als in Hamburg. Ich kaufte schnell Tickets nach Frankfurt, der nächste Zug sollte in 30 Minuten gehen und ging zum Servicepoint, um Einstieghilfe zu bekommen. Der Mann schickte uns direkt zum Bahnsteig, wo ich eine Servicemitarbeiterin ansprach und ihr sagte, dass ich Einstieghilfe für den Zug nach Frankfurt bräuchte. „Sie haben sich aber nicht angemeldet“, blaffte sie mich an. Ich musste einfach laut lachen. Stimmt, ich hatte mich nicht an die Vorschrift gehalten, dass sich behinderte Reisende 24 Stunden vorher bei der Bahn anmelden müssen. Ich sass allein die letzten 12 Stunden in einem Reisebus. Wie dumm von mir! Ich erklärte ihr, dass wir froh seien, überhaupt den Weg raus aus Schweden gefunden zu haben, da die Züge überbucht seien und wir seit über einer Woche in Stockholm gestrandet waren bis die Botschaften einen Bus organisiert hatten und wir jetzt einfach nur nach Frankfurt kommen wollten, um von dort per Auto (meine Eltern leben in der Nähe) oder Flugzeug weiterzukommen. Sie begriff, dass ihr Kommentar uns etwas weltfremd vorgekommen sein musste und half mir in den Zug. Dort genossen wir erst einmal eine gute deutsche Currywurst und Bionade. Wir fuhren bis Frankfurt-Flughafen und dort holte uns meine Mutter ab. Unterdessen war zumindest der deutsche Flugraum wieder offen und wir buchten einen Flug nach London am nächsten Morgen. Die Flüge aus Stockholm gingen immer noch nicht. Und nach rund 36 Stunden Rückreise – davon 12 Stunden Bus -, kamen wir dann endlich in London an.
Mein Bedarf an Köttbullar und schwedischem Schokokuchen ist für die nächsten Jahre erst einmal gedeckt und auch IKEA kann ich derzeit nix abgewinnen. Aber eines muss ich sagen: Ich schaue der britischen Staatsangehörigkeit mit Freude entgegen. Auf deren Auslandsvertretungen scheint Verlass – und das Außenministerium twittert sogar.