Wenn Journalisten über blinde Menschen schreiben

Christiane Link

Es ist ein Phänomen: Wenn Journalisten über blinde Menschen und das Thema Blindheit schreiben, schreiben sie anders als sonst. Da geht es meist um Gefühle, man spürt förmlich wie fasziniert der Autor von seinem eigenen Thema ist – das muss nicht schlecht sein, führt aber oft zu Halbwahrheiten, die aus den eigenen, teilweise falschen Vorstellungen über Blindheit, resultieren. Ein schönes Beispiel ist der Artikel „Elektronischer Blindenhund“, den man gerade bei Spiegel Online lesen kann.

„Für viele Blinde und Sehbehinderte gibt es nur zwei Möglichkeiten: Sich einem ausgebildeten Führhund anvertrauen – oder zu Hause bleiben.“

So beginnt der Text nach dem Teaser prompt falsch. Die meisten blinden Menschen nutzen einen Blindenstock und kommen damit gut zurecht. Und selbst die, die gar nichts nutzen, sitzen nicht nur zu Hause.

„Gerade die Navigation in lauten und räumlich komplexen Großstadtumgebungen kann für Menschen, die nicht sehen können, zur gefährlichen und mühseligen Odyssee werden.“

Blinde Menschen orientieren sich nach Gehör. Da wird es schwieriger (aber nicht unmöglich!) sich zu orientieren, wenn alles leise ist, zum Beispiel kein Auto fährt und sie sich nicht am Verkehrsfluß orientieren können.

Gefährlich, mühselig – jaja, schon schlimm so ein Leben als blinder Mensch, denkt Autor offenbar und verbreitet das als Wahrheit.

„Routen müssen auswendig gelernt, die Umgebung mit dem Gehör ergründet werden – das heißt Wind, Regen oder eine schlichte Erkältung können die Orientierung bereits schwierig machen.“

Glückwunsch zum Spannungsbogen! Ich frage mich nur gerade, wie sich sehende Menschen in der Stadt orientieren: Routen müssen auswendig gelernt werden, die Umgebung mit den Augen ergründet werden – das heißt Schnee, Nebel oder einfach nur Dunkelheit können die Orientierung bereits schwierig machen.

Dann folgen Zitate (Krankenkassen zahlen nicht mehr, viel Verantwortung…). Es gibt einen Rechtsanspruch an die gesetzliche Krankenkasse für einen Blindenhund. Es ist richtig, den muss man erstmal durchsetzen. Das trifft aber auf jedes Hilfsmittel zu. Auch auf den Hightech-Blindenhund, der mit dem Artikel beworben wird.

„Zudem seien gerade Berufstätige kaum in der Lage, einem Tier ausreichend Aufmerksamkeit zu schenken – und ein Führhund muss kontinuierlich weitertrainiert werden, damit er seine anspruchsvolle Aufgabe nicht verlernt.“

Gerade Berufstätige, die mit dem Blindenhund zur Arbeit gehen, trainieren den Hund bereits auf dem Hin- und Rückweg zum Arbeitsplatz. Mir sind eher Probleme bei Blindenführhundhaltern bekannt, die selbst kaum noch raus gehen.

„Außerdem wird ein Hund müde – mehr als zwei Stunden kann er in städtischer Umgebung nicht konzentriert führen, sagt Ritzler.“

Na was jetzt? Zu wenig Training oder zu viel? So pauschal kann man das nicht sagen. Das kommt doch auf den Hund und die Umstände an.

„Ritzler hat sich mit Blinden und Sehbehinderten unterhalten, hat sich ihre Sorgen und Probleme angehört (…)“

Natürlich. Sorgen und Probleme haben die Blinden und Sehbehinderten. Was sonst?

Es folgt eine Lobhudelei auf die tolle Erfindung:
„‚MYGO‘ ist gewissermaßen ein Blindenstock fürs 21. Jahrhundert.“

„Bei der Cebit wurde Ritzler dafür mit dem „Dyson Innovation Award 2006″ belohnt, mit dem der Staubsaugerhersteller alltagstaugliche aber ungewöhnliche Gestaltungsideen fördern will.“

Wieviele blinde / behinderte Menschen saßen in der Jury? Wieviele blinde Menschen haben das Gerät getestet?

Nicht, dass ich die Erfindung verteufele. Ich kenne sie ja nicht. Vielleicht ist sie wirklich ganz interessant. Aber doch bitte nicht so tun als wäre das die Rettung für blinde Menschen. Die leben auch jetzt schon ganz gut und nicht immer sind die Erfindungen, für die sich nicht behinderte Menschen begeistern, wirklich hilfreich für behinderte Menschen. Es reicht halt nicht, den Erfinder zu befragen. Und wer jetzt schon keinen Fuß vor die Tür setzt, wird es auch nicht mit einer Hightech-Apparatur tun.



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