Seit ein paar Minuten geht die Nachricht über den Ticker, dass Inzest in Deutschland weiterhin strafbar bleibt. Was mich sehr sehr schockiert ist nicht einmal das Urteil selbst (auch wenn ich es nicht gut finde), sondern die Begründung des Bundesverfassungsgerichts. Zitat aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
„Der Gesetzgeber hat sich zusätzlich auf eugenische Gesichtspunkte gestützt und ist davon ausgegangen, dass bei Kindern, die aus einer inzestuösen Beziehung erwachsen, wegen der erhöhten Möglichkeit der Summierung rezessiver Erbanlagen die Gefahr erheblicher Schädigungen nicht ausgeschlossen werden könne. Im medizinischen und anthropologischen, von empirischen Studien gestützten Schrifttum wird auf die besondere Gefahr des Entstehens von Erbschäden hingewiesen.“
Ich halte das Urteil wegen seiner Begründung für einen Dammbruch. Das Bundesverfassungsgericht bewertet damit das Leben behinderter Menschen als weniger wert als das von nicht behinderten Menschen. Die Verhinderung behinderten Lebens ist damit wichtiger als das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Ich muss sagen, das hätte ich in Deutschland nicht für möglich gehalten. Dass überhaupt Eugenik einmal als Begründung für eine Gerichtsentscheidung genutzt werden würde, fand ich bis heute vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte für unvorstellbar. Konsequenterweise müsste man jetzt auch allen Menschen mit dominanten Erbanlagen für bestimmte Krankheiten oder Behinderungen das Kinder kriegen untersagen. Ich bin zu tiefst getroffen und kann es gar nicht glauben.
Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgericht sieht das übrigens ähnlich wie ich. Ich zitiere dpa:
„Der Vizepräsident des Gerichts, Winfried Hassemer, stimmte gegen die Entscheidung seiner sieben Kollegen. Seiner Ansicht nach «spricht viel dafür, dass die Vorschrift in der bestehenden Fassung lediglich Moralvorstellungen, nicht aber ein konkretes Rechtsgut im Auge hat.» «Eugenische Gesichtspunkte» – also das Risiko von Erbschäden – dürften verfassungsrechtlich nicht berücksichtigt werden. So würden andere Risikogruppen nicht mit Strafe bedroht, selbst wenn die Schädigungsgefahr noch höher sei.“